Corona und die Fleischindustrie

Viele freuen sich, endlich wird die Aufmerksamkeit öffentlich wirksam auf die Großschlachterei gelenkt. Viele freuen sich, wird sich doch so etwas ändern. Endlich "besseres" Fleisch. Das höre ich von vielen Seiten gerade im Moment, wo in Coesfeld und andernorts Industrie-Schlachtbetriebe wie Westfleisch auf Grund der Corona-Infektionen bei ihren "Arbeitssklaven" in Verruf geraten. Ja, sogar schliessen müssen. Bis auf Weiteres.

Aber mal ehrlich - ist das wirklich neu? Ist das wirklich jetzt erst bekannt geworden? Und wieso gibt es gerade solch einen Aufschrei?

Zuerst der Aufschrei und die Präsenz in den Medien: Coesfeld ist einer der drei Landkreise, der die magische Obergrenze von 50 Neuinfektionen je 100000 Einwohnern innerhalb sieben Tagen direkt nach Einführung überschritten hat. Und dies dadurch, dass die Infektions-Fälle von einem einzigen Schlachtbetrieb ausgehen. Das alleine führt dazu, dass nun ganz Deutschland guckt. Ist es ja auch so etwas wie eine Probe, was dann passiert. Lockdown wird fortgeführt. Also auch sehr medienwirksam das Ganze.

Plötzlich wird besorgt auf die "Haltung" der Wanderarbeiter geguckt. Plötzlich wird besorgt auf die Arbeitssituation und die Wohnsituation geguckt. Plötzlich gibt es viele Stimmen, die sich gegen die aktuelle Billigfleischproduktion in Industrieschlachtereien aussprechen.

Aber halt, ist das wirklich so neu für uns alle?

Recherchiert man - oder einfacher - googelt man die begriffe "fleischarbeiter billig" dann erhält man 11400 Ergebnisse. Bereits die erste Seite enthält dabei Ergebnisse der Jahre 2005 bis 2020.

"Deutschland billig Schlachterland" - Frankfurter Rundschau
"Das Billiglohnland" - Die Welt
"Arbeitsbedingungen auf Schlachthöfen Das billige ..." - FAZ
"Billiglohn im Schlachthof!" - Hamburger Abendblatt

Man kann auch googeln nach "schlachthofarbeiter unterkunft" und erhält ebenso tolle Ergebnisse:

"Ehemaliges Hotel als Bleibe für Schlachthofarbeiter mit Mängeln" - AZOnline
"Arbeitsbedingungen In Schlachthöfen: „Zustände wie im ..." - NWZ Online
"Altes Wohn- und Geschäftshaus wird Unterkunft für ..." - PNP
"Fleisch-Produktion: Ausgebeutet auf dem Schlachthof ..." - Süddeutsche

Aus letztem Artikel von 2017 zitiere ich mal :

"Arbeitsbedingungen [...] sind oft miserabel"
"Doppelschichten von bis zu 15 Stunden, überzogene Mieten für Massenunterkünfte, groteske Gebühren für Zeiterfassungschips, Schutzkleidung oder die Nutzung des Pausenraums. Als "Sklavenhaltermethoden" kritisiert das auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke."

Also ist das Alles nicht unbekannt. Wieso sollte nun Corona irgendetwas verbessern? Weil man endlich mal genauer hinsieht, sagen manche. Pustekuchen - genau hingesehen hat man schon immer. Es ist für die Medien immer noch besser davon zu berichten, als weiter in das Horn zu blasen, dass die Menschen langsam der Corona-Massnahmen überdrüssig werden. So kann man mit einem Finger auf die böse Fleischindustrie zeigen. Und alle machen brav mit und sind für ein paar Tage abgelenkt.

Um dann beim Discounter dann doch wieder das Billigfleisch zu kaufen, und dann - wo es doch endlich wieder erlaubt ist - mit dem Nachbarn zu grillen. Niemand wird dadurch sein Konsumverhalten ändern. Insbesondere dann nicht, wenn das Geld durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit fehlt. Oder durch Inflation weniger wert wird.

Aber politisch werden wir hier etwas ändern, ganz sicher. Nicht. Wenn wir das wollten, hätten wir das schon längst getan. Denn die Gesetze gibt es ja schon länger. Und auch das Wissen um die prekären Arbeits- und Wohnbedingungen. Nur hat leider der arme rumänische Wanderarbeiter im Gegensatz zum reichen Herrn Tönnies keine Lobby (den Herrn Tönnies nenne ich hier auf Grund seines Bekanntheitsgrades exemplarisch, ohne jetzt wirklich zu wissen, ob er nicht kostenlose Einzelzimmer und beste Arbeitsbedingungen für seine Wanderarbeiter schafft; wobei 2016 war es sehr umstritten, ob er wirklich der Arbeitgeber ist, der die Arbeit vergoldet...).

Und warum wird sich gerade wegen Corona die Situation nicht verbessern? Den Kommunen brechen massiv Steuereinnahmen weg. Es werden massive Defizithaushalte auf alle zu kommen. Welcher Landrat wird dann ernsthaft überlegen, einen der wichtigeren Steuerzahler in seinem Landkreis einfach so aus dem Verkehr zu ziehen? Und es hängen ja dann auch noch viele Existenzen hinten dran. Den die Tiere werden nicht alle aus Europa hierher geliefert. Viel kommen aus den industriellen Tierhaltungsfabriken der Umgebung.

Selbst wenn wir Verbraucher allesamt auf Billigfleisch verzichten, es wird sich auch dann nur wenig ändern, denn dann schwenkt man noch stärker in den Export um.

Die Gretchenfrage: Was soll man tun?

Geht zum lokalen Bauern, holt Euch dort Euer Grillfleisch. Unterstützt gezielt die Landwirte, die Bierwohl ernst nehmen und nicht nur scharf auf Siegel sind. Und reduziert Eurer gesundheit zu leibe den Fleischkonsum. Und seit Euch bewusst: das ändert nichts an Westfleisch. Und so traurig es sit: der Rumäne in der 12 Stunden Schicht verdient wenig, wird ausgebeutet, aber er verdient besser, als zu Hause in Rumänien. Leider ist das am Ende das, was uns wirklich traurig stimmen sollte.

Und noch eine kritische Frage zur Vorgehensweise bezüglich der Corona-Tests: Soweit aus den Medien ersichtlich, wurde ja nur ein Corona-Test auf aktuelle Infektion durchgeführt. Richtig spannend wäre es ja auch gewesen Antikörper-teste zu machen, um überstandene Infektionen und somit auch die Durchsuchung zu prüfen. Denn wenn das nur das "Ende" der Infektion war, dann sehe ich rechtlich die Schliessung als fragwürdig und angreifbar an. Vielleicht sollten sich die Landkreise in solchen Fällen mal von Profis beraten lassen, vor allem wenn wir endlich mal etwas aus solchen Infektionsherden lernen wollen. Und das müssen wir, ansonsten können wir bis Ende 2021 oder gar 2022 einfach im Lockdown weitermachen.

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